Dirk Bachhausen<p><strong>Ernstes Warnsignal: Kulturkampf gegen den Regenbogen</strong></p><p><a href="https://www.belltower.news/ernstes-warnsignal-kulturkampf-gegen-den-regenbogen-160927/" rel="nofollow noopener" target="_blank">Belltower.News</a></p> <span><br>Die Ankündigung von Julia Klöckner, die Regenbogenfahne nicht am CSD zu hissen, bedeutete nicht weniger als den symbolträchtigen Entzug der Solidarität für die queere Community von ganz oben. </span><br><span>(Quelle: Unsplash)</span><br><p>Politik braucht Symbole. Unvergessen der Kniefall Willy Brandts vor dem Mahnmal des Aufstands im Warschauer Ghetto. Ebenso, wie Francois Mitterand und Helmut Kohl Hand in Hand die Freundschaft der ehemaligen Erzfeinde Frankreich und Deutschland besiegeln. In der Tagespolitik setzen symbolhafte Botschaften den Ton, brennen sich ein und prägen die politische Kultur. Die wiederum maßgeblich darüber entscheidet, wer und was in der Gesellschaft ernst genommen wird. Wer einen „Flüchtlingstsunami“ heraufbeschwört, gibt Geflüchtete der Dämonisierung preis. Wer vor „Klima-Hysterie“ warnt, tut wissenschaftliche Evidenz im Zeitalter von Dürren und Flutkatastrophen als Panikmache ab<a href="https://www.rnd.de/politik/csd-julia-kloeckner-verbietet-regenbogenflagge-auf-bundestag-OMCUUSBLVZOVBHMZXYETNDENF4.html" rel="nofollow noopener" target="_blank">. So gesehen ist die kontroverse Debatte über die Regenbogenfahne auf dem Reichstag keine Petitesse</a>, sondern ein ernstzunehmendes Warnsignal.</p><p>Die Ankündigung von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die Regenbogenfahne auf dem Reichstag nicht mehr zum Christopher Street Day (sondern nur noch am Internationalen Tag gegen Homophobie) zu hissen, bedeutete nicht weniger als den symbolträchtigen Entzug der Solidarität für die queere Community von ganz oben. Die Entscheidung hat heftige Reaktionen ausgelöst, was wohl einkalkuliert war. Bundeskanzler Friedrich Merz hat seiner Parteifreundin im TV-Talk „Maischberger“ mit einer bemerkenswert verächtlichen Aussage demonstrativ den Rücken gestärkt: <a href="https://www.spiegel.de/politik/friedrich-merz-ueber-regenbogenflagge-am-csd-der-bundestag-ist-kein-zirkuszelt-a-8ad8cbfd-c30f-4a13-bd0e-0970a45bad32" rel="nofollow noopener" target="_blank">„Der Bundestag ist ja nun kein Zirkuszelt.“</a> Im alternden Volksmund ist der Zirkus ein Synonym für Clownerie und Exoten. So blickt Friedrich Merz also auf Schwule, Lesben und Transpersonen. Der Christopher Street Day erscheint mit diesem Filter als ein großer Klamauk.</p><p>Aus Politik und Medien hagelte es für die Merzsche Metapher zurecht Kritik. „Die Regenbogenfahne ist kein Symbol für einen Zirkus“, empörte sich etwa SPD-Politiker Karl Lauterbach. Der Spiegel kommentierte das Kanzler-Zitat als den „unnötig krawalligsten Satz“ des Interviews. Aber die leidenschaftliche Verachtung der Regenbogenfahne lässt sich nicht allein mit der Impulsivität eines Kanzlers erklären, der immer wieder den Anschein erweckt, die intellektuelle Enge seiner Sauerländer Heimat nie verlassen zu haben. Die Unionsführung um Merz, Klöckner und Dobrindt erklärt vielmehr sexuellen Minderheiten in diesem Land implizit: Eure Rechte, Sorgen und realen Nöte gehen uns nichts an – das ist eure Privatsache. Das ist ebenso falsch wie gefährlich.</p><p>Als Kanzler und Bundestagspräsidentin repräsentieren Merz und Klöckner die politische Spitze unserer Demokratie. Ihr öffentlicher Furor gegen die Regenbogenflagge, der sie demonstrativ die „deutsche Fahne“ entgegenhalten, <a href="https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/stolzmonat-csd-100.html" rel="nofollow noopener" target="_blank">lässt sich als konservative Variante eines Kulturkampfes verstehen, den die extreme Rechte ihrerseits schon seit Jahren führt</a>. Das Umfeld der AfD mobilisiert systematisch zu einem „Stolzmonat“, in dem die Pride-Feiern für sexuelle Selbstbestimmung und Vielfalt propagandistisch und aggressiv bekämpft werden. Die zugehörige rechtsextreme Message lautet: Nationalstolz mit Nationalfarben statt Regenbogen. Mit anderen Worten: Deutschsein statt Queersein.</p><p>Es bleibt nicht bei rechter Propaganda. Anfeindungen und Angriffe auf CSD-Veranstaltungen nehmen drastisch zu. <a href="https://www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/csd-gelsenkirchen-abgesagt-100.html" rel="nofollow noopener" target="_blank">Zuletzt sagte der Veranstalter in Gelsenkirchen den CSD aufgrund der Bedrohungslage ab.</a> An- und Abreise zu einem CSD werden für Teilnehmende vor allem in kleinen Städten und ländlichen Regionen zunehmend gefährlich. Queerfeindlichkeit ist ein fester Baustein rechtsextremer Ideologie, der auch hierzulande immer unverhohlener als gewaltvolle Praxis ausgelebt wird. Auf den ersten Blick mag der Kampf gegen Regenbogenfarben und „Gender-Wahn“ ein Randthema sein. Aber im Kern geht es dabei um alles – nämlich darum, ob alle Menschen hierzulande frei leben und lieben können, egal ob Frauen, Männer oder trans* Personen. Egal, ob hetero oder nicht.</p><p><a href="https://verband-brg.de/rechte-rassistische-und-antisemitische-gewalt-in-deutschland-2024-jahresbilanzen-der-opferberatungsstellen/" rel="nofollow noopener" target="_blank">Die auf rechte, rassistische und antisemitische Gewalt spezialisierten Opferberatungsstellen des VBRG registrierten im vergangenen Jahr einen sprunghaften Anstieg queerfeindlicher Angriffe um 40 Prozent</a>. In diesem gesellschaftlichen Klima demonstrativ die Solidarität mit einer stark gefährdeten Minderheit aufzukündigen, wie Merz und Klöckner es tun, ist verantwortungslos. Wie ernst es der Bundestagspräsidentin mit ihrem konservativen Spin ist, zeigt deren Entscheidung, der queeren Gruppe der Bundestagverwaltung die Teilnahme am diesjährigen CSD in Berlin zu untersagen. <a href="https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/kloeckner-bab-regenbogenflagge-100.html" rel="nofollow noopener" target="_blank">Klöckner begründete das mit einer Pflicht zur Neutralität.</a> Mit dem Kampfbegriff „Neutralität“ versucht die AfD permanent, demokratische Akteure mundtot zu machen und zur Passivität gegen Menschenfeindlichkeit zu verdonnern. Doch Demokrat*innen dürfen gegenüber Rechtsextremen eben gerade nicht neutral sein. Klöckner legt ihr Amt im Gegensatz zu ihren Vorgängern demonstrativ politisch aus – und profiliert sich ausgerechnet auf Kosten von jenen, die als Hassobjekte verfolgt werden.</p><p>Die in rechten Kreisen grassierende Wut auf die Regenbogenfahne als Symbol sexueller Selbstbestimmung und Vielfalt politisch anzuheizen, mag in diversen Milieus mit rigiden Weltbildern schnelle Zustimmung versprechen. Punktsiege in Kulturkämpfen kosten nichts und sind sehr viel leichter zu haben als Wirtschaftswachstum oder eine funktionierende Infrastruktur. Doch der Fahnen-Appell der Unionsführung ist keineswegs nur taktisch begründet, sondern legt eine beunruhigende inhaltliche Schnittmenge zwischen Konservativen und der extremen Rechten bloß.</p><p>Beide treten, wenn auch unterschiedlich radikal, für eine heterosexuelle Normativität ein. Beide Lager betrachten selbstbewusst gelebte sexuelle Identität, die vom klassischen Mann-Frau-Schema abweicht, als Bedrohung. Innenminister Alexander Dobrindt hat dieses Selbstverständnis vor Jahren so formuliert: <a href="https://www.queer.de/detail.php?article_id=18749" rel="nofollow noopener" target="_blank">„Die Union als Volkspartei hat die Aufgabe, der stillen Mehrheit eine Stimme zu geben gegen eine schrille Minderheit.“</a> Lobbyisten und Einzelgruppen dürften in Deutschland „nicht den Ton angeben“. <a href="https://www.queer.de/detail.php?article_id=37118" rel="nofollow noopener" target="_blank">Der heutige Bundeskanzler Friedrich Merz wiederum hatte 2020 in einem Bild-Interview Homosexualität in die Nähe von Kindesmissbrauch gerückt.</a> Die Ankündigung der Trump-Regierung, künftig wieder nur zwei Geschlechter anzuerkennen, trans* Menschen also de facto ihrer Rechte zu berauben, konnte Merz im Wahlkampf „nachvollziehen“. Die Mehrheit, die angeblich vor einer sexuellen Minderheit geschützt werden muss – das ist der geistige Nährboden der regierenden Unionsführung. Als Folge droht Realitätsverlust.</p><p>Wer sich in der queeren Community umhört, erhält aktuell ein erschütterndes Lagebild. Lesbische Frauen oder schwule Männer, die in der Öffentlichkeit Arm in Arm gehen, werden vielerorts beschimpft, beleidigt oder angespuckt. Für viele LSBTIAQ-Personen gibt es keine sicheren Orte mehr. Ausgrenzung und Diskriminierung, aber auch offene Anfeindungen und Gewalt nehmen in Schulen, Unternehmen und in der Nachbarschaft spürbar zu. Viele Betroffene trauen sich nicht, solche Vorfälle anzuzeigen oder öffentlich zu machen. Sie fressen das in sich rein und ziehen sich aus der Öffentlichkeit zurück. Theoretisch, so ist zu hören, kann man in Deutschland überall offen eine queere Identität leben. Aber in der Praxis wagen das viele nicht mehr aus Angst, Opfer von Bedrohungen oder Gewalt zu werden. Es ist ein schleichender, für die schweigende Mehrheit unsichtbarer Prozess. Wenn diese Mehrheit der queeren Minderheit die Toleranz aufkündigt, wird es brandgefährlich. Es gibt dafür beunruhigende Anzeichen.</p><p>Entlarvend ist, wie Julia Klöckner auf Kritik an ihren Entscheidungen reagiert. Die Queer-Beauftragte der Bundesregierung, Sophie Koch, hatte mit Hinweis auf die verschärfte Bedrohungslage von einem falschen Signal der Bundestagspräsidentin gesprochen. Und Klöckner? Verurteilt zwar Angriffe auf queere Menschen „auf das Schärfste“, um dann aber zu relativieren: „Die meistverfolgte Gruppe weltweit sind übrigens Christen.“ Auch der mächtigsten deutschen Politikerin dürfte bekannt sein, dass Christen in diesem Land nicht verfolgt werden. Trotzdem versteigt sie sich zu der absurden Aussage:<a href="https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_100794298/julia-kloeckner-bundestagspraesidentin-erklaert-im-interview-harten-kurs.html" rel="nofollow noopener" target="_blank"> „Dann müsste ich auch an einem Tag im Jahr zum Beispiel die Vatikanflagge hissen.“</a> So redet man reale Gewalt klein – und mit ihr eine ohnehin marginalisierte Minderheit. Das ist schamlos.</p><p>In der ideologischen Grauzone zwischen Konservatismus und der extremen Rechten rückt die Union im Kulturkampf gegen den Regenbogen näher an die AfD heran. Doch allen muss klar sein: In dieser sich ausweitenden Kampfzone geht es nicht um eine abstrakte ideologische Farbenlehre, sondern um Menschen. Es ist geradezu zynisch, einer bedrängten Minderheit, deren Sichtbarkeit von Rechtsextremisten mit Gewalt unterdrückt werden soll, zu erklären, dass die Nationalflagge als Freiheitssymbol völlig ausreichend sei. Oder wie AfD-Politiker es formulieren: Schwarz-Rot-Gold ist bunt genug. In dieser Frage gibt es im demokratischen Spektrum aktuell nur entweder oder. Entweder man zeigt sich solidarisch mit sexuellen Minderheiten, die unter gewalttätigen Druck geraten. Oder man verhält sich vermeintlich „neutral“. Dann erscheint aber der rechtsextreme „Stolzmonat“ genauso legitim wie der queere „Pride-Month“. Wer derartige Neutralität propagiert, nimmt billigend in Kauf, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität systematisch in die Heimlichkeit zurückgedrängt werden.</p><p>Die Union muss sich entscheiden, was sie sein will. Rückwärtsgewandt und ausgrenzend oder modern, liberal und ja, christlich. Die Versuchung ist groß, das Profil als Partei eines heteronormativen Ideals zu schärfen; auf Kosten von all jenen, die davon abweichen. Das entspricht aber nicht mal mehr vollends der Lebensrealität in den eigenen Reihen, Auch da gibt es queeres Personal und Lebensentwürfe abseits der erklärten Norm. Bemerkenswert ist, wie leise liberale und schwule christdemokratische Stimmen in der aktuellen Debatte bleiben. Der Preis für die flüchtigen Kulturkampf-Erfolge ist hoch. Vielen Menschen wird es hierzulande zunehmend unmöglich, ihre vom Grundgesetz garantierten Rechte im Alltag wahrzunehmen. Schwul, lesbisch, bi oder trans zu leben ist weder links noch „gendergaga“. Es ist einfach normal. Der Bundeskanzler und die Bundestagspräsidentin werden übrigens nicht für Kulturkämpfe gewählt. Vielmehr stehen sie in der Pflicht, Schaden von den Menschen abzuwenden, die in diesem Land leben. Von allen Menschen.</p><p></p> <p><a rel="nofollow noopener" class="hashtag u-tag u-category" href="https://www.bachhausen.de/Schlagwort/ernstes/" target="_blank">#ernstes</a> <a rel="nofollow noopener" class="hashtag u-tag u-category" href="https://www.bachhausen.de/Schlagwort/gegen/" target="_blank">#gegen</a> <a rel="nofollow noopener" class="hashtag u-tag u-category" href="https://www.bachhausen.de/Schlagwort/kulturkampf/" target="_blank">#kulturkampf</a> <a rel="nofollow noopener" class="hashtag u-tag u-category" href="https://www.bachhausen.de/Schlagwort/regenbogen/" target="_blank">#regenbogen</a> <a rel="nofollow noopener" class="hashtag u-tag u-category" href="https://www.bachhausen.de/Schlagwort/warnsignal/" target="_blank">#warnsignal</a></p>