Don Trueten :antifa:Neulich Abend unterhielt ich mich mit einem Freund, dessen Leben sich in vielerlei Hinsicht radikal von meinem unterschied – er ist fast zwanzig Jahre jünger als ich und in einem Haushalt aufgewachsen, der meinem überhaupt nicht glich. Wir sprachen darüber, wie wir beide im #Unterricht #Bücher unter unseren Schreibtischen lasen. Keine S#chulbücher, sondern eskapistische #Fantasy-#Literatur. Während der gesamten Mittelstufe hatte ich eine Linie quer über der Stirn, von der Stelle, an der die Kante des Schreibtisches in meine Haut drückte, während ich unter dem Tisch Bücher las.<p>
Ich hatte keine besonders gute Zeit in der Mittelstufe. Meine beiden besten Freunde waren gerade weggezogen, und unsere Mittelschicht-Nachbarschaft mit gemischten Einkommen war in ein wohlhabenderes Viertel umgesiedelt worden, um den Ort zu diversifizieren. Ich hatte nicht mehr nur einen <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Mobber" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Mobber</span></a>, wie in der <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Grundschule" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Grundschule</span></a>, sondern etwa die Hälfte der Schule beteiligte sich an den Misshandlungen, die ich erlitt. (Ich hasse es wirklich, wie abfällig wir über „Mobbing“ sprechen, als wäre routinemäßiger körperlicher und emotionaler <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Missbrauch" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Missbrauch</span></a> etwas, das keiner weiteren Analyse bedarf.)</p><p>
Die Mittelschule war die Hölle. Sobald ich sie hinter mir hatte und auf die <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Highschool" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Highschool</span></a> ging, erinnere ich mich, dass ich mir dachte: „Warum habe ich nicht viele konkrete Erinnerungen an die letzten Jahre meines Lebens?“</p><p>
Die Mittelstufe war die Hölle, aber ich habe überlebt, und vielleicht habe ich überlebt, weil ich <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Tolkien" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Tolkien</span></a> und <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Heinlein" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Heinlein</span></a> und <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Dumas" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Dumas</span></a> und <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Jacques" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Jacques</span></a> und <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Pierce" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Pierce</span></a> und was auch immer für kitschige Fantasy-Romane ich mir jede Woche aus der <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Bibliothek" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Bibliothek</span></a> holte. Vielleicht habe ich überlebt, weil es das öffentliche <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Bibliothekssystem" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Bibliothekssystem</span></a> gab. Vielleicht habe ich überlebt, weil es den Spieleladen gab, der Bücher über <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Dungeons" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Dungeons</span></a> & <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Dragons" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Dragons</span></a> verkaufte – ich hatte niemanden zum Spielen, aber ich verbrachte viel Zeit damit, <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Enzyklop%C3%A4dien" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Enzyklopädien</span></a> über Welten zu lesen, die es nie gab.</p><p>
Daher habe ich die Bedeutung von spekulativer <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Fiktion" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Fiktion</span></a> und <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Eskapismus" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Eskapismus</span></a> nie wirklich in Frage gestellt. Die Möglichkeit, für eine Weile nicht ich selbst zu sein, hatte schon immer einen sehr hohen Stellenwert. Am Ende der <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Highschool" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Highschool</span></a> fühlte ich mich mehr zur „Literatur“ hingezogen, insbesondere zu ängstlichen europäischen Männern wie <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Camus" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Camus</span></a> und <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Hesse" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Hesse</span></a>, aber ich habe nie aufgehört, <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Fantasy" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Fantasy</span></a> zu lesen.
</p><p>Ich möchte hier nicht einmal Bücher über Fernsehen, Videospiele, Filme und andere Formen der <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Realit%C3%A4tsflucht" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Realitätsflucht</span></a> stellen, obwohl Bücher immer einen besonderen Platz in meinem Herzen haben werden.</p><p>
Als ich das College abbrach, um Güterzüge zu fahren und gegen die Regierung zu kämpfen, flüchtete ich, nun ja, vor etwas. Ich befreite mich. Ich zahlte keine Miete mehr, ich arbeitete nicht mehr in einem regulären Job. Ich lebte in verlassenen Gebäuden und unter Brücken. Anstatt Würfel zu werfen, um Schlösser zu knacken, lernte ich, Schlösser zu knacken. Anstelle von Schatztruhen gab es Müllcontainer. Anstelle einer Abenteurergruppe hatte ich Tramper-Kumpels und eine Bezugsgruppe. Ich hatte den schwarzen Block und ich hatte <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Waldverteidigung" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Waldverteidigung</span></a>.</p><p>
Aber die ganze Zeit über las ich Bücher. Niemand verschlingt Romane so wie Baumpfleger – was zum Teufel soll man sonst den ganzen Tag machen?
</p><p>Als Kind habe ich „Der Hobbit“ wieder und wieder gelesen, aber als ich „Der Herr der Ringe“ zum ersten Mal las, war ich erwachsen, vielleicht 20 oder so, in einem Waldschutzlager im pazifischen Nordwesten. Ich hatte Wache. Ich und ein Freund saßen die ganze Nacht hinter einem Baumstamm neben einer Schotterstraße und verfolgten, wer rein- und rauskam, und informierten alle, wenn Polizisten auftauchten, um uns zu verhaften. Mein Begleiter schlief sofort ein, jede Nacht. Ich las „Herr der Ringe“ im Licht einer roten Stirnlampe. Ich entkam nicht einmal meiner Flucht, nicht wirklich, sondern verstärkte sie stattdessen. Hier war ich nun und lebte ein Leben voller Abenteuer, las über Leben voller Abenteuer.
</p><p>Und doch war ich mir trotz allem nicht sicher, ob es für einen Möchtegern-Revolutionär eine gute Zeitverwendung war, eskapistische Dinge zu schreiben. Klar, ich blieb lange auf, um zu lesen (oder Videospiele zu spielen, wenn ich einen Ort mit ausreichend Strom finden konnte). Aber so etwas tatsächlich zu machen? War es nicht wichtiger, etwas zu organisieren? Ich schrieb hier und da Geschichten, aber ich war zu schüchtern, um sie zu teilen. Was bedeutete das Schreiben schon, wenn im Wald Bäume fielen und im Ausland <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Bomben" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Bomben</span></a> fielen?
</p><p>Ich schrieb Ursula K. Le Guin einen Brief. Sie war eine meiner Heldinnen, eine pazifistische <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Anarchistin" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Anarchistin</span></a>, die so viele Bücher geschrieben hatte, die so vielen Menschen so viel bedeuteten. Ich schrieb ihr einen Brief an ihr Postfach und sagte: „Hallo, ich bin eine junge Autorin von anarchistischer <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Belletristik" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Belletristik</span></a> und frage mich, welche Rolle Belletristik beim sozialen Wandel spielt. Kann ich dich für ein Zine dazu interviewen?“
</p><p>Sie antwortete mir per E-Mail und wir schrieben eine Weile miteinander. Ich erweiterte das Projekt von einem Zine zu einem Buch, in dem ich jeden anarchistischen Romanautor interviewte, den ich zu diesem Zeitpunkt finden konnte. So lernte ich die Rolle der Belletristik, insbesondere der spekulativen Belletristik, im sozialen Wandel kennen. Es gibt so viele Dinge: Belletristik stellt Fragen besser als sie Antworten liefert und fordert die Leser so heraus, ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen; Belletristik gibt uns Vorbilder; Belletristik ermöglicht es uns, die Idee zu erforschen, dass die Gesellschaft grundlegend anders sein könnte (zum Besseren oder Schlechteren).</p><p>
Aber Fiktion ermöglicht uns auch, zu entkommen. Und das ist nicht falsch.</p><p>(...)</p><p>Weiterlesen in meiner Übersetzung des Beitrages <a href="https://margaretkilljoy.substack.com/p/the-duty-to-escape" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">The Duty to Escape or: tolkien and le guin on escapist fantasy</a> von <span class="h-card" translate="no"><a href="https://kolektiva.social/@margaret" class="u-url mention" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">@<span>margaret</span></a></span>: <a href="https://www.trueten.de/archives/13526-Die-Pflicht-zur-Flucht-oder-Tolkien-und-Le-Guin-ueber-eskapistische-Fantasien.html" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">Die Pflicht zur Flucht oder: Tolkien und Le Guin über eskapistische Fantasien</a></p><p><a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Eskapismus" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Eskapismus</span></a> <a href="https://mastodon.trueten.de/tags/Anarchismus" class="mention hashtag" rel="nofollow noopener noreferrer" target="_blank">#<span>Anarchismus</span></a></p>