Petra Erler / Gastautorin<p><strong><a href="https://extradienst.net/?p=96645" rel="nofollow noopener" target="_blank">Wer Hass sät …</a></strong></p><p><strong>… wird darin umkommen</strong></p><p><em>„…Denn wer ernsthaft glaubt, Russland gäbe sich mit einem Sieg über die Ukraine oder gar Teile der Ukraine oder mit der Annexion von Teilen des Landes zufrieden, der irrt. Schauen Sie auf die Giftanschläge und Mordtaten in zahlreichen europäischen Städten, auch hier bei uns, in unserer Hauptstadt! Schauen Sie auf die Cyberangriffe gegen unsere Dateninfrastruktur! Schauen Sie auf die physische Zerstörung vieler Daten- und Unterseekabel offenbar auch durch die sogenannte Schattenflotte! Schauen Sie auf die Spionage- und Sabotageakte und die systematische Desinformation unserer Bevölkerung! Das ist ganz überwiegend das Werk der russischen Staatsführung und ihrer Helfer – auch hier bei uns, im eigenen Land.“</em> Bundeskanzler Merz, in seiner Regierungserklärung 14. Mai 2025</p><p>US-General Donahue, Befehlshaber der US-Armee für Europa und Afrika, <a href="https://www.defensenews.com/land/2025/07/16/army-europe-chief-unveils-nato-eastern-flank-defense-plan/" rel="nofollow noopener" target="_blank">so berichtete Defence News kürzlich</a>, befasste sich öffentlich mit Kaliningrad: Das sei 47 Meilen breit und von der Nato von allen Seiten eingekreist. Nun habe die US-Armee und ihre Alliierten die Fähigkeit <em>„das einzunehmen in einem bisher nie dagewesene Zeitraum und schneller, als wir jemals zuvor im Stande waren.“</em> Weiter führte er aus: <em>„Wir haben das schon geplant und wir haben das schon entwickelt. Das Massen- und Impulsproblem, das Russland für uns darstellt … wir haben die Fähigkeit entwickelt, dafür zu sorgen, dass wir dieses Massen- und Impulsproblem stoppen können“</em>.</p><p>Wenn Verfolgungswahn und Aggressivität sich paaren, wird es extrem gefährlich. Da sind wir angelangt. Am 5. März 2018 entschuldigte sich Marc Galeotti, ein Russland-Experte, dafür, dass er 2013 fälschlicherweise eine russische Kriegstheorie in die Welt gesetzt hatte. Er hatte <a href="https://foreignpolicy.com/2018/03/05/im-sorry-for-creating-the-gerasimov-doctrine/" rel="nofollow noopener" target="_blank">über die „Gerassimow-Doktrin“ berichtet</a> und die Bezeichnung vom <em>“hybriden Krieg”</em> geprägt. Tatsächlich hatte Gerassimow, russischer Generalstabschef, 2013 über seine Wahrnehmung westlicher Kriegstaktiken gesprochen und festgestellt, dass die Grenzen zwischen Krieg und Frieden immer mehr verschwimmen. Nur, Galeottis Widerruf kam viel zu spät. Denn die Vorstellung eines „hybriden“ Angriffs Russlands auf den Westen hatte sich längst in vielen Köpfen eingenistet.</p><p>Maßgeblich dafür gesorgt hatte „Russiagate“, die behauptete Einmischung Russlands in die US-Wahlen 2016. Kürzlich <a href="https://www.dni.gov/files/ODNI/documents/DIG/DIG-Declassified-Evidence-Obama-Subvert-President-Trump-2016-Victory-Election-July2025.pdf" rel="nofollow noopener" target="_blank">veröffentlichte die US-Geheimdienstkoordinatorin weitere Dokumente</a> zur Entstehung von <em>„Russiagate“</em>, die unumstößlich beweisen, dass Präsident Obama und eine kleine Gruppe von Geheimdienstchefs bereit waren, die von der Clinton-Kampagne ausgehende Verdächtigung Russlands nunmehr dem designierten US-Präsidenten wie ein Kuckucksei ins Nest zu legen. Diese Verdächtigung, von vielen Medien mit Enthusiasmus unterstützt, unterminierte die Trump-Präsidentschaft und zwar gründlich. Vor allem aber sorgte sie dafür, dass sich nichts am „außenpolitischen Konsens“ zugunsten einer aggressiven US-Russlandpolitik änderte. <a href="https://www.derstandard.at/story/3000000280155/trumps-geheimdienstkoordinatorin-fordert-strafverfolgung-obamas-wegen-wahl-2016" rel="nofollow noopener" target="_blank">Der Standard kommentierte diese Dokumentenveröffentlichung</a> und die Forderung Gabbards nach strafrechtlichen Konsequenzen für alle Drahtzieher dieser großen Verschwörung zu Lasten des amerikanischen Wählerwillens. Leider verfügte der Autor des Standards augenscheinlich kaum über ausreichend profunde Kenntnisse zu „Russiagate“, um Gabbards Erklärung und die neu veröffentlichten Dokumente einordnen zu können.</p><p>Mit den jetzt vorgelegten Dokumenten lässt sich nachvollziehen, wie das Denken in USA-Geheimdienstkreisen (auf Arbeitsebene) in Bezug auf mutmaßliche russische Einmischungsversuche vor der Wahl 2016 war. Man erkennt ebenfalls, wie nach der verloren gegangenen Wahl 2016 im Eiltempo -und im handverlesenen Kreis – befehlsgemäß eine geheimdienstliche Einschätzung fabriziert wurde, die einen russischen Angriff auf die US-Demokratie postulierte. Tulsi Gabbard hat völlig recht: Die Drahtzieher von „Russiagate“ konnten und wollten die Wahl nicht verloren geben und hingen dem zukünftigen Präsidenten Trump und seinen Unterstützern einen schweren Mühlstein um den Hals. Der würde gleichzeitig die USA-Russland-Beziehungen weiter ins Eis zerren. So wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.</p><p>Es ist durchaus atemberaubend, sich mit der Kühle des Kalküls zu beschäftigen und gleichzeitig vor Augen geführt zu bekommen, dass es nur wenige Menschen in Schlüsselpositionen der Macht braucht, um eine große Lüge in die Welt zu setzen. Hinreichend wurde, dass sie willige Helfershelfer fanden, weil ihnen wichtige Medien diesseits und jenseits des Atlantik willig aus der Hand fraßen, wobei die Wahl der Zeitformen die Gegenwart einschließt. Abgeordnete beider US-Parteien verkündeten die Lüge vom russischen hack der US-Demokratie mit großem Nachdruck einst in Kiew.</p><p>2019 beschäftigte sich Keir Giles vom Chatham House ausführlich mit der Frage, was der Westen von der „hybriden“ Kriegsführung Russlands lernen könne, <a href="https://www.baks.bund.de/en/working-papers/2019/hybrid-threats-what-can-we-learn-from-russia" rel="nofollow noopener" target="_blank">abzurufen bei der Bundesakademie für Sicherheitspolitik</a>. Giles macht in seinem englischen Arbeitspapier hochinteressante Anmerkungen: Erstens beschäftigte er sich mit der Frage, woran man erkenne, dass Russland hinter einem <em>„hybriden</em>“ Angriff stecke: Reagiere es konfus oder schweige gänzlich, sei es sehr wahrscheinlich unschuldig. Energische und selbstbewusste Verneinung dagegen, verbunden mit einer Desinformationskampagne, sei ein verlässlicher Indikator, dass die jeweilige Aktion durch höchste Ebenen im Kreml beauftragt sei.</p><p>Giles erfand das nicht von ungefähr. Die britische Regierung verfuhr so im <em>„Skripal-Fall”</em>. Sie kam damit durch, weil viel zu viele glaubten, Nato-Verbündete lügen nicht. Weil es längst eine breite Bereitschaft gab, in Russland den Täter zu sehen. Weil Chemiewaffen-Experten, die ihr Fachgebiet verstehen, es vorzogen, zu schweigen. Nur Russland habe, so die britische Regierung damals, den Willen, die Fähigkeit und das Motiv, etwas so Verachtenswertes wie einen Anschlag mit einem verbotenen Nervengift („Nowitschok“ A234) auf britischem Territorium durchzuführen. Ein russisches Dementi galt als Schuldeingeständnis.</p><p><strong>In persönlichen Beziehungen führt diese Methode in die Katastrophe. In außenpolitischen Beziehungen auch. Sie vergiftet alles. Das war Absicht.</strong></p><p>Man muss allerdings in dem Fall den Diensten Ihrer Majestät zugestehen: Ihr Schlag gegen den ewigen Feind saß punktgenau, unter Anwendung des verwerflichen deutschen Rats in Sachen Propaganda: Die Lüge muss ungeheuer sein, nie klein.</p><p>Seitdem wird Russland seitens der Nato vorgeworfen, ein geheimes Chemiewaffenprogramm zu haben. Seitdem ist der <em>„mörderische Charakter”</em> des russischen Präsidenten fast schon Allgemeinwissen.</p><p>Der Anschlag auf NordStream (energisch abgestritten von Russland) führte zur sofortigen Nato-Sorge um die unterseeische Infrastruktur des Westens, vor allem in der Ostsee, zu ihrer erweiterten militärischen Präsenz in diesem Raum und selbstverständlich, wie könnte es auch anders sein, zur umgehenden Verdächtigung Russlands, hinter jedem einzelnen Zwischenfall mit unterseeischer Infrastruktur zu stecken.</p><p>Die <a href="https://www.washingtonpost.com/world/2025/01/19/russia-baltic-undersea-cables-accidents-sabotage/" rel="nofollow noopener" target="_blank">Washington Post berichtete Anfang 2025</a>, mehrere Geheimdienste neigten im Ergebnis ihrer Untersuchungen dazu, die Vorfälle an Unterseekabeln in der Ostsee 2024 als Unfälle einzustufen. Aber halt, hatte Russland nicht immer die Sabotage dieser Kabel abgestritten und zudem im UN-Sicherheitsrat gefordert, dass der Anschlag auf NordStream untersucht und aufgeklärt werden müsse, damit dieses große Verbrechen nicht Schule macht? War das womöglich eine der vielen russischen <em>„Desinformationskampagnen“</em>?</p><p>Zweitens erklärte Giles auch, wie sich Demokratie wehren müsse. <em>„Die Schlüsselbotschaft für Führungspersönlichkeiten und normale Bürger ist“</em>, so Giles, <em>„dass in dem neuen Umfeld gesamtgesellschaftlicher Bedrohungen niemand zu unwichtig ist, um ein Ziel zu sein, und dass folglich auch niemand zu unwichtig ist, um in die Verteidigung einbezogen zu werden.“</em></p><p>Giles erweist sich als ein gelehriger Anhänger der immer breiter geteilten These, dass das Autoritäre nichts mehr fürchte, als seinen Sturz durch das Vorbild der liberalen Demokratie. Logischerweise muss es dann zum eigenen Machterhalt alles Demokratische bekämpfen. Mit allen Mitteln: verdeckt oder -wie in Sachen Ukraine – offen. Denn Autokraten, so die Weiterführung dieser These, schrecken vor nichts zurück. Da sie keiner strikten gesellschaftlichen Kontrolle unterliegen (wie das angeblich in Demokratien der Fall ist), werden sie, wenn man sie nicht sofort und immer wieder und ganz energisch in die Schranken weist, immer aggressiver, immer ruchloser.</p><p>Das vorherrschende Russland-Bild, die vorherrschende Beschreibung, warum Russland 2022 den Krieg wählte und demnächst halb Westeuropa überfallen wird, folgt exakt dieser Theorie. Dass der russische Präsident auf Kriegsursachen hinweist, darauf dringt, in einem verhandelten Frieden ein neue Sicherheitsarchitektur mit der Nato zu erreichen und einen geplanten Angriff auf das Nato-Territorium bestreitet, ist demzufolge hochgefährliche russische Desinformation.</p><p>Daher folgt auch unser Land lieber dem Motto: Hochrüstung heute schafft Abschreckung und Sicherheit vor dem Feind. Es impliziert – die Feindschaft besteht anhaltend. Es sagt nicht, wie diese Feindschaft überwunden werden soll.</p><p>Gleichzeitig wird geglaubt, dass autoritäre Regime zum Äußersten neigen, um sich gegen den zerstörerischen Keim alles Demokratischen zu wehren?</p><p>Das geht, konsequent betrachtet, nicht allein mittels Verboten, Sanktionen, Schikanen. Das braucht einen sehr viel grundsätzlicheren Ansatz und Giles wies den Weg: Alle müssen in die Verteidigung „einbezogen“ auf Goebbels-Deutsch „kriegstüchtig“ werden.</p><p>Ganz grundsätzlich. Durch Prävention. So wie sich das die Kommissionspräsidentin von der Leyen für den Kampf gegen russische Desinformation vorstellte: Eine Impfung muss her. Dann fallen die demokratischen Antikörper über dieses russische Virus her und Schluss ist. Da man logischerweise nicht vorausahnen kann, was sich die Russen im einzelnen einfallen lassen, kann nur eines gelten: Glaubt nur uns, also der selbsternannten westlichen Autorität. Wer das nicht tut, hat das mit der Feindschaft nicht verstanden, ist praktisch schon ein Deserteur, jedenfalls fast schon übergelaufen zum Feind.</p><p>Also Prävention auf allen Ebenen, angefangen vom Aufspüren der mutmaßlichen Helfershelfer Putins im eigenen Land (innere Feinde) bis hin zum militärischen Präventivschlag, um die finsteren militärischen Absichten der Russen schließlich zu durchkreuzen. Wie etwa gegen Kaliningrad. Wir schaffen das! Aber selbst wenn es nicht zu dem westlichen Präventivschlag käme, die Verkürzung auf das Militärische und auf ewige Feindschaft führt zu nichts anderem als zu andauerndem wechselseitigem Belauern, weiter anschwellendem Misstrauen, und zu einer Lage, in der beide Seiten nach dem „Befreiungsschlag“ lechzen.</p><p><strong>Das ist die sich entwickelnde katastrophale Situation elementarer Unsicherheit.</strong></p><p>Denn es geht nicht nur um das anhaltende Ignorieren der Frage, welche Schlüsse Moskau aus allem zieht. Das Postulat, der russische Aggressor verstehe allein die Sprache der Macht, habe das Recht auf friedliche Streitbeilegung längst verspielt, und die Nato habe alles Recht, Kaliningrad zu umzingeln und zu planen, wie sie es in Grund und Boden rammt, ist Teil der westlichen Bankrotterklärung. </p><p>Wer glaubt, Diplomatie habe ausgedient ist nicht mehr in der Position gelassener Selbstgewisstheit, so wie das Kennedy 1963 war. Der konnte und wollte der Sowjetunion die Hand reichen, weil er von der Überlegenheit des Demokratieversprechens der USA überzeugt war.</p><p>Die aktuelle Verbindung von allgemeiner Paranoia, tiefsitzendem politisch motivierten Hass und überschwänglicher medialer Begleitung legt allenfalls offen, dass die westliche Verunsicherung über den unabweislichen Machtverlust inzwischen tief sitzt: Man kann nicht mehr so global herrschen, wie man will, hat soviel Unheil in der Dominanz angerichtet, und fürchtet nun, dass die Kräfte, die in der multipolaren Welt agieren, noch Schlimmeres anstellen.</p><p>Wir klammern uns an die Vorstellung, wir seien der „Garten“, die „anderen“ der Dschungel, weil wir unseren Platz in der Welt noch immer nicht als gleicher unter gleichen verstehen.</p><p><em>Dieser Beitrag ist eine Übernahme aus dem <a href="https://petraerler.substack.com" rel="nofollow noopener" target="_blank">Blog der Autorin</a>, mit ihrer freundlichen Genehmigung.</em></p> <p class="">Über Petra Erler / Gastautorin:</p><p class="">Petra Erler: "Ostdeutsche, nationale, europäische und internationale Politikerfahrungen, publizistisch tätig, mehrsprachig, faktenorientiert, unvoreingenommen." Ihren Blog "Nachrichten einer Leuchtturmwärterin" finden sie bei <a href="https://petraerler.substack.com/archive" rel="nofollow noopener" target="_blank">Substack</a>. Ihre Beiträge im Extradienst sind Übernahmen mit ihrer freundlichen Genehmigung.</p><p class=""><a href="https://extradienst.net/author/petra-erler-gastautorin/" rel="nofollow noopener" target="_blank"></a></p>